(c) Klaus Marion 1997
In regelmäßigen Zeitabständen trete ich den Weg in die
Stadt an, um mich beim PC-Händler meines Vertrauens über die
neusten Entwicklungen im Sektor der elektronischen
Datenverarbeitung auf dem Laufenden zu halten. Schließlich
gehört es zum guten Ton, durch das Vorhandensein aktueller
technischer Produkte die eigene Innovationskraft zu
demonstrieren.
Wie immer wurde ich vom Chef persönlich freundschaftlich
begrüßt, eine Tatsache, die durch sein Rekapitulieren meiner
bisherigen Einkäufe deutlich unterstützt wird. Der Inhaber ist
ein netter, dynamischer junger Mann, der sich geradezu karitativ
darum bemüht, auch weniger begüterte Haushalte bei ihrem
Einstig in die elektronische Datenverarbeitung zu unterstützten.
Er vermittelt Ratenkredite.
Heute war unser Thema ein spezielles Utensil: Die CD-ROM.
Ich äußerte betont mein Unverständnis.
"Ich frage mich ernsthaft, wozu ich so etwas brauche. Musik
höre ich auf meinem CD-Player, und für exorbitant teure
Computerspiele fehlt mir Zeit und Geld. Wozu also so ein
Silberscheibenabspielgerät in meinem Computer?"
Herbert hob entsetzt die Hände und zog mich in eine Ecke.
"Spiele? Mein Gott, darüber sind wir doch in den Zeiten von
Multimedia längst hinaus. Jetzt beginnt das Zeitalter
ernsthafter Anwendungen. Produkte , die bisher nur in Buchform
unhandlich zu benutzen waren, werden jetzt aktuell um neue
Möglichkeiten bereichert." Er zeigte auf ein Regal.
"Hier sind unsere absoluten CD-ROM Verkaufshits, für den
seriösen Anwender." Er zerrte an einer Schachtel.
"Sie wissen, daß die CD-ROM vom Papst gesponsort wird?
Haha. Na, wegen ROM, sie verstehen? Na sei's drum, hier haben wir
den Renner in konservativen Kirchenkreisen: Die Bibel interaktiv!
Ja, der absolute Top-Hit: Auf dem Bildschirm erscheinen nicht nur
die Texte, s ondern ausgewählte Stellen werden mit Geräuschen
untermalt sowie von kleinen Spielfilmen erläutert. Besonders
beliebt sind dabei die Kreuzigungsszene sowie der Kampf David
gegen Goliath. Überzeugen Sie sich selbst!"
Ich starrte auf den Bildschirm des Vorführrechners. "Aber
David hat meines Wissens Goliath nicht geköpft. Und getreten hat
er ihn doch auch nicht zwischen die ..."
"Eine dramatisierte Fassung für die Jugend. Man will die
nachwachsende Generation besonders ansprechen. Sie sollten das
mal mit einer Soundkarte hören." Er stieß mich an.
"Für uns Erwachsene ist auch gesorgt. Die filmische
Erläuterung zu Sodom und Gomorrha ist äußerst
informativ." Er kramte im Regal.
"Dazu eine CD-ROM über die zehn Todsünden interaktiv. Mit
filmischen Erläuterungen und Zoom-Funktion. Der Renner, frei ab
18."
"Nun ja, das ist natürlich hochinteressant..."
"Ein besonderer Leckerbissen ist das Strafgesetzbuch.
Hierbei können Sie einzelne Paragraphen anklicken und erhalten
in Ton und Bild animierte Beispiele der angesproch enen Vergehen.
Besonders beliebt sind die "Top Ten der interessantesten
Morde & Selbstmorde" sowie Raubüberfälle und
Messerstechereien. Die Hinweise werden von der Synchronstimme von
Hanniball Lector gesprochen. Auch hier möchte ich auf die
einzelnen Straftatbestände im Bereich des Sexualrechtes
hinweisen..."
"Ich bitte Sie!"
"Nun, dies ist eine besondere Scheibe: Steuerrecht für
Anfänger. Herausgegeben vom Bundesfinanzministerium, eine
Einführung in das Steuerrecht."
"Und das verkäuft sich?"
"Aber natürlich. Besonders beliebt sind dabei die Anhänge
mit informativen Spielfilmszenen aus der Bestrafung von
Steuersündern in den letzten sechs Jahrhunderten. Dazu
vergleichend Gemeinsamkeiten und Unterschiede zur heiligen
Inquisition. Der Ton ist in Stereo und Dolby Surround. Ein Tip:
Bei den Schreien der Gemarterten sollte man bei der Soundkarten
die Höhen etwas herabdrehen oder lieber direkt an die
Stereoanlage gehen."
Ich starrte die Schachtel unschlüssig an.
"Beliebt sind auch die Sprach-CD-ROMs. Hier ist
"Englisch für Anfänger", bei der die Fragen von einer
animierten Dame gesprochen und die Lösungen angesagt
werden."
"Animierdame?"
"Sie kennen die Scheibe? Bei fünf richtigen Antworten
entledigt sie sich..."
"Haben Sie nicht etwas seriöses?"
"Natürlich. Hier ist zum Beispiel das "Komplettlexikon
der russischen Sprache".
"Und wozu brauche ich das auf CD-ROM?"
"Nun, wenn Sie auf ein Wort klicken, versucht das System
daraus einen kompletten Satz zu formen und spricht ihn in einem
Beispiel. Besonderen Wert wird dabei auf beliebte russische
Flüche gelegt. Klicken Sie doch mal hier."
Ich klickte mit der Maus. Eine in russischer Volkstracht
gewandete Person erschien auf dem Bildschirm und gab einen Satz
von sich, der sich wie "[kapitalistischewski
krowosoß]" anhörte. Ich blickte den Inhaber fragend an.
"Das heißt 'kapitalistischer Blutsauger'. Nun gut,
vielleicht etwas erneuerungsbedürftig."
"Hier ein Renner für die Popmusikfreunde: 'Zu Hause bei
Madonna'. Bewegen sie sich interaktiv durch das Haus von Madonna,
erforschen sie alle Räume und begegnen sie dort Freunden und
Bekannten der erfolgreichen Sängerin."
"Und wahrscheinlich im Schlafzimmer..."
"Nein, leider nicht. Der Programmierer hat hier zu
realistisch gearbeitet. Der Raum läßt sich wegen Überfüllung
nicht öffnen. Das hier ist besser: Lexikon der Luft und
Raumfahrt. Mit animierten Filmen zu den Stichworten 'Challenger',
'Flugzeugabstürze' und 'Flugübelkeit'."
"Also ehrlich gesagt, das kann mich nicht überzeugen. Alles
nur Blödsinn und Geldmacherei."
Habe dann doch noch etwas interessantes gefunden: Das
CD-ROM-Lexikon der Gärtnerei. Interaktiv mit Bildern aller
interessanten Pflanzen. Sehr Lehrreich. Dazu animierte Sequenzen
zu den Stichworten "Ausrotten von Schädlingen'', "die
Gartenlaube und ihre unzüchtigen Verwendungszwecke" sowie
"der Gott Pan und seine Tricks". Sehr informativ. Sehr
realistisch. Ein Medium mit Zukunft.
Klaus Marion