(c) Klaus Marion 1988
erschienen in VorSicht 12/88
Zu den gemütlichen Zeitvertreiben, denen man
sich an einem Abend hingeben kann, gehört unbestreitbar der Besuch der Kneipe
seiner Wahl. Ich bin kein ständiger Gast in Räumlichkeiten dieser Art, aber
hin und wieder erscheint mir doch ein Besuch im Freundeskreise angebracht, um
mit Gesprächen und Diskussionen aller Art eine gewisse Kommunikationsfreudigkeit
zu demonstrieren. Nun bevorzuge ich meist ein bestimmtes Lokal, das durch seine
gute Musikzusammenstellung einerseits, wie auch durch die nette Wirtin
andererseits einen allseitigen Ruf der Gastlichkeit entwickelt hat.
Leider jedoch mußte ich im Verlauf der letzten Jahre feststellen, daß durch
meine nur sporadischen Besuche gewisse Entwicklungen ohne Resonanz an mir
vorübergehen. Bis ich dann urplötzlich mit ihnen konfrontiert werde. So ist
mir es in unvergesslicher Erinnerung, wie ich dem muskelbepackten Kleiderschrank
zu meiner Rechten an der Bar ein Getränk auszugeben gedachte, weil ich ihm
versehentlich auf seine frisch geputzten Lacoste-Turnschuhe getreten war. Mein
um Entschuldigung heischendes Lächeln und eine diesbezügliche Anfrage wurden
mit einem barschen 'EGAL!' beantwortet, worauf ich wunschgemäß einen
Orangensaft zu ordern mich beeilte.
Die folgenden Geschehnisse möchte ich als schmerzliche Erfahrungen auf sich
beruhen lassen. Anzumerken ist jedoch, daß ich neben der interessanten
Bekanntschaft des zahnärztlichen Notfalldienstes an diesem Abend noch etwas
anderes gelernt habe: Daß es sich bei einem EGAL um die Handelsmarke einer
Mischung von Schlehenlikör mit Wodka zu handeln scheint.
Seit diesem Ereignis passiert es mir immer öfters, daß ich in einer
gemütlichen Runde sitze und urplötzlich das Gespräch auf Getränke gebracht
wird, von denen ich noch nie etwas in meinem bisherigen Dasein gehört habe.
Es erfordert zugegebenermaßen eine gewisse Willenskraft und Charakterstärke,
in einem größeren Kreis als einziger einzugestehen, daß man weder weiß, was
ein doppelter 'Bulldozer' ist, noch je einen getrunken hat. Und ihn insbesondere
nicht mit einem .genippten Blazer' vergleichen kann. Unter dem Einfluß von ein
oder zwei Bieren fehlt es mir dann meist an dem nötigen Selbstvertrauen, und
mit dezentem Lächeln verleugne ich meine Unwissenheit. Was gewöhnlich damit
endet, daß ich eine Runde von diesen 'Schnapsdingern' bestelle, nur um dann
festzustellen, daß es sich um Mixgetränke handelt, per Stück 8 DM. Wie
gesagt, es scheint sich mir immer als letztem zu erschließen, worum es sich bei
einem 'Rostigen Nagel' oder einer 'Feigen Sau' handelt, obwohl ich mir manchmal
sicher bin, daß das Schild, das diese Getränke als den Hit des Jahres
anzupreisen beliebt, am vorigen Tage noch nicht dort an der Wand gehangen hat.
Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, daß ich
sehr schwer von Begriff bin. Etwa 3 bis 4 Monate bevor mir meine Großmutter den
'Rostigen Nagel' als die Entdeckung des Jahres anzupreisen gedenkt, habe ich die
ungefähre Identität des Getränks schon verifizieren können. Und wenn am
Winzerstand beim Weinfest das 'Hütchen' im Sonderangebot offeriert wird, gehe
auch ich mit dem Gedanken 'alter Hut" vorbei und bestelle lieber in meiner
Kneipe einen 'Rostigen Nagel', was die Wirtin dazu bringt, mit zu erklären,
daß der 'Rostige Nagel' schon wieder völlig out sei. Ob ich einen Bergteufel
probieren möchte?
Ich frage mich seit langem, ob es sich hierbei um ein gesellschaftliches
Krisenzeichen handeln könnte. So eine Art Schaffung von Vertraulichkeit durch
Kreierung eigener Verschlüsselungen. Gemeinsamkeiten verbinden.
Zugegebenermaßen ist es cooler, eine 'Feige Sau" zu bestellen, als profan
einen "Wodka mit Feige und Sahnehaubchen' zu ordern. Auch beeindruckender
bei Begleitungen weiblichen Geschlechts. Warum bin ich aber immer der letzte,
der davon erfährt? Warum werde ich bei diesen Vereinbarungen nie hinzugezogen?
Ein gewisses Licht in die Angelegenheit konnte der letzte Freitag bringen, als
ich im Zustand leichter Anheiterung in eine fachmännisch von unserer Wirtin
geführten Diskussionsrunde einen von mir in sekundenschnelle kreierten 'Brutalisator'
warf. Ich war nicht wenig überrascht, als dieser allseitig als besonders
wohlschmeckend und sehr hochprozentual gerühmt wurde. Ein Probeschuß in Form
eines 'Armani, doppelt gerakelt, mit etwas Westbury' erbrachte weitere positive
Kennerschaft. Mit einem 'Desaster Blow' gelang mein Durchbruch.
Der Abend war gerettet. Man kolportiert seither, ich hätte im Urlaub einen
Barmixerkurs erfolgreich abgeschlossen, und meine Wirtin erbat sich heute meinen
Rat in Problemen der Namensgebung von alkoholischen Mixgetränken. Ich denke ich
bin der Sache auf der Spur.
Klaus Marion
Last updated 10.10.99