© Klaus Marion 2005
erschienen in VORSICHT 10/2005
Die deutsche Dienstleistungsmentalität steht
in dem Ruf, dem Kunden gegenüber eher etwas robust zu sein. Wo in anderen
Ländern der Verkäufer dem Käufer gegenüber stets ein Lächeln bewahrt, auch
wenn er das nervige Subjekt gerne eigenhändig erwürgen würde, macht der
durchschnittliche deutsche Fachverkäufer aus seinem Herzen keine Mördergrube,
sondern droht renitenten Kunden mit lästigen Sonderwünschen auch schon mal mit
letalem Abgang.
Drohte - sollte man wohl sagen. Denn immer mehr Ladenketten verordnen ihren
Mitarbeitern Training und Vorschriften im Kundenumgang, die sicherstellen
sollen, das dem Kundenwunsch angemessen und freundlich begegnet wird.
Es ist gewöhnungsbedürftig...
Zu den unangenehmeren Aufgaben, zu denen ich mich
Zeit meines Lebens überwinden muss, gehört der Einkauf an der Fleisch- und
Wurstwarentheke. Nicht dass es nicht viele nette und freundliche Verkäufer in
diesem Bereich gibt - leider sind Sie nie in den Geschäften zu finden, in denen
ich meine Einkäufe tätigen muss. Während der Einkauf von Brotbelag auch ohne
nähere Kenntnis der angebotenen Sorten durch ein einfaches "Bitte 300 g
Aufschnitt" und vagem Nicken bei allen unverständlichen Rückfragen leicht
zu meistern ist, ist der gezielte Erwerb von Fleisch grundsätzlich mit allerlei
Nachfragen und Detaillierungswünschen verbunden, bei denen dann mein wegen
fehlender Sachkenntnis unsicheres Gestotter zumeist von einem leichten Schnauben
der Fachkraft sowie angedeuteten Blicken gen Himmel ob solcher kriminellen
Unwissenheit begleitet wird. Einkäufe dieser Art enden immer mit meiner totalen
Demütigung durch die bedienenden Fachkräfte, der es offensichtlich Spaß
macht, diesen männlichen Nichtwisser in die Schranken zu verweisen.
So war auch meine Erwartungshaltung nach Neueröffnung des Supermarktes unter
neuer Leitung nicht sehr positiv ausgeprägt.
"Ich hätte äh gerne 5 Fleischstücke für den Grill" Mein
vorsorglich eingezogener Kopf erwartete das gewöhnlich folgende "Ja, Kamm
oder Rücken oder was?", als mein robustes Gegenüber mittleren Alters mir
einen geradezu lebensgefährlichen Schock versetzte.
"Vielen Dank für Ihre Bestellung. Wünschen Sie das Fleisch vom Schwein
oder vom Rind?"
Ich starrte auf die altbekannte Figur vergangener, fulminanter Schlachten, deren
Verhalten mir es schon manchmal angelegentlich erscheinen ließ, statt den
eigentlichen benötigten Steaks ersatzweise Gulasch ("äh, dann bitte halt
was vom dem da!") mitzubringen - bloß um der üblichen Machtdemonstration
an der Theke zu entgehen.
"Oh, äh... gibt es da noch andere Möglichkeiten?"
"Also, jetzt... Ich meine, vielen Dank für Ihre Frage. Selbstverständlich
haben wir weitere Fleischsorten im Angebot: Kalb und Rind, Schaf sowie äh
Wild."
Ich war sprachlos.
Einer derartigen Auskunft, ohne subtile Hinweise auf die grundsätzliche
Unfähigkeit meiner Person, war ich hier noch nie begegnet. Hilfesuchend blickte
mich um. An der Rückwand der Fleischtheke hing ein neues, riesiges Poster des
Inhabers der Lebensmittelkette: "Wir sind für Sie da! Freundlich und
kompetent!"
"Ach, Sie haben ein Verkaufstraining gemacht? Wahrscheinlich auch
Anweisungen über korrektes Verhalten gegenüber dem Kunden?"
"Ja."
"Kann ich Sie da auch etwas fragen"
"Ich... Ja, selbstverständlich." Pause. "Gerne"
"Das ist aber schön. Sagen Sie mal, was muss ich bei Wild denn so
beachten? Habe nämlich keine Ahnung."
Ein Pitbull wäre beim Betrachten der unter Druck mahlenden Zahnkiefer neidisch
geworden. Reflexhaftes Zuschnappen kämpfte mit der antrainierten neuen
Freundlichkeit.
"Hmpf. Schön... dass Sie fragen. Wir helfen gerne. Wildfleisch ist
magerer. Das müssen Sie spicken, beizen oder bardieren."
"Spicken? Was ist denn das?"
Ihre Hand umkrampfte zuckend ein Fleischermesser, das in Form und Größe schon
beim dreißigjährigen Krieg im Nahkampf Verwendung hätte finden können.
"Hören Sie mal..., ich meine, schön...dass... Sie... fragen. Dazu müssen
Sie Speck, mit einer Specknadel, in das Fleisch stecken. Wir helfen gerne"
"Ah ja! Und wie ist das eigentlich mit Kaninchen?"
Langsam tat Sie mir leid. Zumindest kurzfristig, bis ich mich wieder an ein
demütigendes "Vielleicht überlegen Sie sich in Zukunft vorher was Sie
wollen, junger Mann. Hier sind noch andere Kunden" aus der Vergangenheit
erinnerte. Das machte es leichter.
"He, Sie tragen ja einen Button mit ‚Wir lächeln für Sie!' Sie lächeln
aber gar nicht?"
Das Starren dauerte nur ca 5 Sekunden, schien aber eine Ewigkeit anzudauern.
Dann bewegten sich die Mundwinkel langsam, wie unter gewaltigem Widerstand nach
oben. Ich starrte entsetzt in des Gesicht von Hannibal Lecter.
"SCHÖN - DASS - SIE -FRAGEN! Hasen zieht man das Fell über die Ohren!
Lebendig! WIR - HELFEN - GERNE!" Ihre Worte untermalte sie mit dem
rhythmischen auf den Tisch schlagens eines Fleischerhakens.
"Ach, gibt es das Fleisch in verschieden Qualitäten, und was muss ich da
bei der Zubereitung beachten? Könnten Sie mir einige Tipps geben?"
Jetzt hatte ich es übertrieben. Die Schleusen der Konditionierung des
Dienstleistungslehrgangs gaben sichtbar nach, die Flutwelle wilder Rachsucht am
unwissenden Kunden brach sich Bahn und überschwemmte die unter dem
Meeresspiegel gelegenen Gebiete des Dienstleistungswillens.
"ANTON! Ich bring ihn um! "
Der vierschrötige Metzgergeselle mit der Gestalt eines Samurai-Ringers kämpfte
sich nach vorne, die blutige Schürze noch in der Hand. Ich verließ eilend das
Geschehen, nicht ohne noch über die Schulter ein "Könnten Sie mir auch
Hinweise zur Zubereitung von Lamm geben?" zu rufen.
Es war ein schöner Tag.
Klaus Marion
Last updated 11.10.05