(c) Klaus Marion 2000
erschienen 2/2000 in VorSicht
Der Mann hinter der Kasse der Tankstelle betrachtete mich übernächtigt und
misstrauisch. Sein Blick zuckte zu der Dose in meiner Hand.
"Nur die Cola? Nicht getankt? Keine Zapfsäule?"
Ich schüttelte den Kopf.
"Nur die Cola bitte. Was macht das?"
"Das gibt's doch nicht! KALLE, ALARM, Grünes Fahrzeug, Fahrer ca 1,80
Meter, Hautfarbe weiß, Vollbart, Pudelmütze, habe ihn auf Video."
Offensichtlich galt diese Aussage nicht mir. Blitzschnell hatte der Tankwart in
eine Sprechanlage gerufen, während er eine Sirene mit einem Alarmknopf
aktivierte und unter den Tresen nach einem Gewehr griff. Draußen blockierten
zwei aus dem Werkstattbereich heranrasende Autos die Ausfahrt, keilten einen
Golf ein, während drei stämmige Mechaniker in russischen
Sondereinheitskampfanzügen mit gezückten Schraubenschlüsseln und gutturalen
Lauten den Fahrer aus dem Fahrzeug beförderten.
"Hermann, ruf die Polizei an. Schon wieder so einer" Er wandte sich
wieder mir zu.
"Sie können unter dem Regal hervorkommen. Alles erledigt."
"Mein Gott, was war denn das? Ein Raubüberfall?"
Der Tankwart ließ ein wütendes Schnauben hören.
"Nur wieder so ein Zechpreller beim Tanken. Ist schon der achte heute, der
ohne Zahlen abhauen will. Aber nicht mit mir!"
Ich starrte auf die entsicherte Schrotflinte.
"Sie hätten doch nicht geschossen?"
"Um Gottes willen, nein. Nicht an einer Tankstelle! Da könnte ja sonst was
passieren. Ich warte noch auf die Spezialmunition aus Berlin. Plastikschrot aus
Stasibeständen. Fahrzeugbrechend und Mannstoppend!"
Erst jetzt fiel mir auf, das der Mann eine Schutzweste trug.
"Ist es denn so schlimm mit dem Nichtbezahlen?"
"Schlimm? Seit den letzten zwei Steuererhöhungen auf Benzin ist es die
reine Hölle! Kein Mensch kann sich mehr den Sprit leisten"
"Ja, dieser Ökosteuererhöhung um 30 Pfg pro Liter Benzin war schon
hart!"
"30 Pfg? Das ging ja noch! Aber seit die Sonderabgabe zur
Rentenfinanzierung den Literpreis noch einmal um 20 Pfennig hochgesetzt hat,
wurde es richtig kriminell. Und der neue Solidaritätsbeitrag zur
Sozialversicherung auf Benzin an Zapfsäulen hat nur ein Gutes gehabt: Die
Selbstverbrennungen verzweifelter Mantafahrer haben aufgehört. Kann sich ja
auch wirklich keiner mehr leisten, das Zeug!"
Die Türe ging auf. Ein älteres Ehepaar betrat feierlich die Räumlichkeiten.
Sie hatten offensichtlich ihre Sonntagssachen an.
"Die Nummer zwei, bitte!" Der Mann beugte sich vertrauensvoll
lächelnd zu mir herüber. "Diesen Monat haben wir uns mal was geleistet.
Vollgetankt!"
"298,15"
"Machen Sie 300,- .Vielen Dank! Dann bis nächstes Jahr!"
Die Verabschiedung war herzlich. Der Tankwart wandte sich wieder mir zu.
"Tja, einmal im Jahr leisten die sich was besonderes. Nette Leute,
wirklich. Nein!! Nicht schon wieder!" Er griff zu seinem Walkie-Talkie und
drückte erneut einen Alarmknopf.
"Die werden immer frecher. Da hat schon wieder hat so einer versucht,
unseren Hauptbodentank mit Super PLUS anzubohren. Offensichtlich ein geklautes
Bohrfahrzeug. Aber keine Chance. Wir haben den Tank gepanzert und mit
Alarmdrähten versehen. "Er lauschte in sein Funkgerät.
"Ist in die Selbstschussanlagen geraten? Ruf einen Krankenwagen."
"So schlimm ist es geworden?"
"Sie haben wohl schon eine Zeitlang nicht mehr getankt, wie? Schauen Sie
doch mal raus."
Eine ausgemergelte Gestalt in einem zerschlissenen Anzug schlurfte von
Zapfsäule zu Zapfsäule und schüttelte Resttropfen aus den Zapfhähnen in
einen mitgebrachten Kanister.
"Das ist Hermann Möntgens. Früher mal erfolgreicher Handelsvertreter. In
ganz Deutschland unterwegs . Die Benzinpreiserhöhung hat ihn zu einem Wrack
werden lassen. Muss zu allen Mitteln greifen, um sich die Autofahrten überhaupt
noch leisten zu können. Ja, bitte?"
Die Worte galten augenscheinlich der Frau hinter mir, die sich zögernd zur
Kasse bewegte, um aus einem mitgebrachten Karton einige Dinge auf den Tresen zu
stellen."
"Nicht schon wieder Meißner Porzellan. Ich habe das ganze Lager voll
damit. Meissner geht im Moment ganz schlecht. Haben Sie nicht was anderes?
Juwelen? Goldringe?" Er schüttelte sorgenvoll den Kopf.
"Stimmt ja, die Trauringe haben Sie ja schon letzte Woche vorbeigebracht.
Also, ich mach Ihnen einen Vorschlag: Ich nehme das Porzellan als Ganzes, Sie
legen noch eine Kaffeekanne drauf, und ich drücke mal zwei Augen zu. Harry,
holst Du mal einen 10-Liter-Kanister?... Ja, voll! Warten Sie, Harry begleitet
sie zu Ihrem Wagen, damit unterwegs nichts passiert."
Dankbar küsste die Frau seine Hände verschwand zu ihrem Auto.
"Ist schon ein hartes Geschäft geworden. Was die einem alles andrehen
wollen, bloß für ein paar Liter Sprit. Werde ich doch nie wieder los, das
Zeug. Wo waren wir stehengeblieben?"
Erst jetzt konnte ich sehen, dass auf alle Tankplätze Kameras gerichtet waren,
die automatisch Nummernschild und Fahrer mitfilmten. Der Tankwart sah meinen
Blick.
"Ich darf kein Risiko eingehen. Da gibt es die verrücktesten Sachen.
Einmal hab ich einen erwischt, der hat am Schlauch auf der anderen Seite der
Zapfsäule mit einer Manschette eine Abzweigung gemacht. Immer wenn so ein armes
Schwein tankte, floss ein Teil des Sprits in einen Kanister auf seiner Seite der
Säule! Der reinste Dschungel. Die Absauger sind die schlimmsten. Während Sie
zahlen, brechen die an ihrem Fahrzeug den Tankdeckel auf und saugen noch schnell
ein bis zwei Liter Benzin. Macht übrigens 1,60 DM, die Cola."
Ich zog eine Münze aus der Tasche
"Das unverschämteste kommt aber noch: Irgend so ein Kerl zapft anscheinend
MEINEM Auto regelmäßig Benzin ab. Direkt neben der Tankstelle. Benzinleitung
angebohrt und schwupp. Lenkt mich wohl irgendwie ab, und schon ist passiert.
Aber den Kerl erwische ich auch noch!"
Ich verabschiedete mich und verließ den Laden. Hochinteressantes Gespräch.
Nur schade, das Anzapfen seines Wagens werde ich sicherheitshalber aufgeben
müssen.
Klaus.Marion@marion.de
Last updated 31.01.00