(c) Klaus Marion 2000
erschienen 5/2000 in VorSicht
Seit ein paar Wochen gibt es eine seltsame Fernsehserie, bei der 10 Personen 10 Wochen eingesperrt in einer Wohngemeinschaft sich gegenseitig auf den Wecker fallen. Doch das ist nur der Anfang...
Der Abend in der Kneipe meiner Wahl verlief ruhig
und entspannt. Umso mehr erschrak ich, als sich plötzlich eine Gestalt mit
schwarzer Sonnenbrille und einem T-Shirt in schreienden Leuchtfarbeffekten an
meinen Tisch setze und dem Wirt gegenüber mit Handzeichen klar machte, dass
zwei Bier auf meine Rechnung gehen würden.
"Rudi?"
Nur mühsam erkannte ich meinen Freund Rudi Gerstner wieder. Rudi starrte zwei
Meter an mir vorbei und nickte ausdrucksstark der Wand zu.
"Schön Dich zu sehen. Ich muss Dir unbedingt etwas erzählen..."
"Rudi, ich bin hier."
Er hob kurz die Sonnenbrille und orientierte seine Blickrichtung neu.
"Tut mir leid, dass muss einfach sein. Imagegründe." Verschwörerisch
stieß er mich am Arm.
"Ich arbeite jetzt in der Filmproduktion"
"Ich kann Dir nichts leihen!" Erschreckt ließ ich mein Portemonnaie
wieder los, dass ich in einem Panikreflex ergriffen hatte. Rudis Schulden bei
mir überstiegen inzwischen das Bruttosozialprodukt von West-Gabun um ein
mehrfaches.
Rudi lächelte gönnerhaft.
"Ich bitte Dich! Ich bin jetzt ganz groß im Geschäft. Ich produziere mit
meinem Team neue Showformen, echte Sachen die reißen. Der Publikumerfolg ist
garantiert! Ich werde reich und vermögend, kaufe weite Landstriche als
Spekulationsobjekte und werde dann bald in den Bundestag gewählt..."
"Du hast einen Produktionsvertrag mit einem Fernsehsender??"
"Nuuun", räumte Rudi ein, "Nicht direkt Vertrag. Ich produziere
auf eigene Kosten, und muss dann natürlich noch einen Käufer finden."
"Aha. Und wie groß ist Dein Team?"
"Du meinst außer mir? Nein, mach nicht so ein Gesicht. Man muss heutzutage
Shows produzieren, die mit einem Minimum an externen Ressourcen auskommen. Und
da gibt es durchaus Vorbilder."
Er drückte die Brust heraus.
"Hier kannst Du es lesen. Eines meiner Projekte"
"Big Mother??"
"Ja, eine Reality Show. 5 Personen, alle über 18, müssen 30 Tage unter
dem Kommando einer Zimmervermieterin aus einer Studentenstadt leben. Harte
Hausordnung, keine Damenbesuche, Heizen nur bei Minusgraden." Er grinste
diabolisch. "Und einmal in der Woche muss man den kompletten Rasen mähen.
Die Hölle, sag ich Dir!"
Ich starrte ihn an. "Womit bezahlst Du denn die vielen Wohnwagencontainer?
Die Überwachungskameras? Die ganzen Möbel?"
"Das ist ja das schöne an diesem neuen Konzept! Eine ECHTE Reality-Show!
Wir drehen nur an Original-Schauplätzen! Keine künstliche Umgebung, sondern
knallharte Realität. Und wir haben immerhin zwei VHS-Kameras im Einsatz!"
"Nur zwei...?"
"Nun, wir müssen unsere Mittel da etwas strecken, da wir verschiedene
Projekte am bearbeiten sind. So haben wir in unserer Reality Show "Big
Brother & the Friseurs" 6 Kameras montiert, die einen Friseursalon im
Auge behalten. Ganz harter Stoff: Waschen, legen, fönen. Die menschliche
Dramen, wenn Siggi nach 3 Stunden immer noch nicht dran war, und bei Renate die
Dauerwelle trotz Schampoo-Einsatz versagt. Das zehrt an den Nerven."
"Das scheint mir aber nicht sooo schrecklich zu sein..."
"Ja, die ersten 2 Wochen nicht. Aber die müssen ja auch 10 Wochen in dem
Friseurladen bleiben!"
"Zehn Wochen? Ja, wo sollen die denn schlafen?"
"Das ist ganz lustig. In den ersten Nächten versuchten sie es alle im
Sitzen. Inzwischen hat Gernold sich aus zwei Friseurkitteln ein Kleinzelt
gebastelt, während Ulla sich eine mit Haaren gepolsterte Matratze genäht
hat."
"Aber..."
"Genial, diese menschlichen Dramen. Gudrun hat Siggi gedroht, Sie würde
sie mit dem Anschlusskabel des Haartrockners erwürgen, wenn Sie noch einmal
dieses scheusslich riechende milde Shampoo nimmt, wohingegen Plattko immer noch
an einer Schnittverletzung laboriert, die er sich bei dem Versuch zugezogen hat,
den verunglückten Stoppelschnitt selbst zu begradigen."
"Und wo soll da der Reiz liegen?"
"In der Beschränkung der natürlichen Umwelt: 10 Leute, und nur 7
Zeitschriften: Zweimal Playboy und 5 mal Bild der Frau. Wir warten gespannt auf
die ersten Anwendungen von körperlicher Gewalt."
"Und jede Woche wird einer rausgewählt?"
"Ja. Also, genaugenommen, bestimmt die Jury in Gestalt meiner Person die
ersten 5, die das Team verlassen müssen. Danach bestimme ich, wer bleiben muss
und wer gehen darf."
Er lächelte.
"Und das Konzept ist ausbaubar. Mach die Augen auf: 10 Wochen in der
Kirche, bei ununterbrochenen Predigten des Pfarrers. Oder eingeschlossen im
Umkleideraum eines durchschnittlichen Sportvereins. Wegen des Geruchs müssen
wir da natürlich auf 10 Stunden heruntergehen. Und die absolute Krönung meines
Projektes: 10 Wochen im Verkaufsraum eines Gebrauchtwagenhändlers, bei
permanent laufenden Verkaufsgesprächen. Das halten nur die härtesten
aus!"
"Und der letzte bekommt dann den großen Preis?"
"500 Mark. In bar."
"Und dafür lassen sich Leute freiwillig 10 Wochen einsperren??"
"Naja, nicht direkt freiwillig. Die Fenster haben nämlich Gitter..."
"Du sperrst die Leute ein???"
"Ja natürlich, sonst würde doch keiner mitmachen."
"Und das gibt keinen Ärger?"
"Bisher nicht. Die waren alle so froh, wieder draußen zu sein!" Er
erhob sich. "Ich muß aber jetzt weiter. Wir haben ein ganz neues Projekt:
Big Barkeeper: 10 Wochen eingeschlossen in einer Kneipe. Das wird ein
Feger." Er verschwand.
Moment mal: In einer Kneipe?
Diesen Bericht konnte ich in einer leeren Bierflasche nach draußen schmuggeln. Bitte, wählt mich raus!
Last updated 30.04.00