© Klaus Marion 2005
erschienen in VORSICHT 5/2005
"Kann ich was für Sie tun?"
Ich schreckte aus der blicklos-entsetzten Betrachtung der durchsausenden Zahlen
an der Zapfsäule auf. Neben dem Auto stand ein junger Mann im Blaumann und
blickte mich fragend an.
Ich war verwirrt. Sollte es je mal Epochen gegeben haben, an denen man an
Tankstellen von mehr oder minder freundlichen Personen bei der Pflicht des
Tankens tatkräftig unterstützt wurde, so liegen diese mindestens eine
Generation vor meiner Zeit als Autofahrer.
Fragen dieser Art begegnet man heutzutage eher in den Innenstädten von
Großstädten, geäußert von meist unappetitlichen Individuen, die derartigen
Sätzen zur Verdeutlichung normalerweise ein "Ey, haste mal 'nen
Euro?" folgen lassen.
So wollte ich schon dankend abwinken, als ich den Fragenden noch einmal genauer
in Augenschein nahm. Es handelte sich offensichtlich um einen sehr jungen
Jugendlichen mit stark pickeligem Gesicht, seine Monteurskleidung mit der
eingestickten Bezeichnung der Tankstellenkette war bemitleidenswert mindestens 2
Nummern zu groß, und sein Blick schien verschämt und unsicher.
Mein großes, väterliches Herz war geweckt. Ein Junge, der sich mit diesem
offensichtlichen Marketinggag der Tankstelle ein paar Euro hinzuverdienen
wollte. Mit dem Trinkgeld. Kann man da nein sagen? Ich blickte mich um. Kein
anderes Auto war zu sehen.
"Ich wische Ihre Scheibe!"
Ich nickte stumm. Zwar war das eigentlich unnötig, denn der Wagen war gerade
erst in der Waschstrasse gewesen, aber egal. Ich kramte nach Trinkgeld.
"He, die Scheibe ist ja sauber. Soll ich was anderes machen?"
Ich winkte großzügig ab.
"Ist schon gut. Danke für die Mühe. Das ist für Sie..."
Der Junge starrte mich empört an.
"Ich konnte ja nichts für Sie tun. Da nehme ich nichts. Soll ich die
Scheinwerfergläser reinigen?"
Beschämt steckte ich mein Geld wieder ein. Ein wirklich braver Junge. Mit
Prinzipien. Ich nickte erneut.
Nach wenigen Sekunden stand der dienstbare Geist wieder vor mir.
"He, die sind ja absolut sauber!"
"Nun, das ist vielleicht die eingebaute
Scheinwerferreinigungsanlage..."
"Reifendruck...?"
"Ja, nun, bitte..."
Während ich verstohlen auf die Uhr blickte, schleppte er die tragbare
Luftdruckmessstation heran. Eigentlich war ich ja etwas in Eile, die Familie
wartete. Aber jetzt würden wir diese Sache hinter uns bringen.
Schon wieder stand er vor mir.
"Ai, sag mal: was sind das für komische Ventilkappen?"
"Oh, nun, das sind Luftdrucksensoren, die übermitteln drahtlos den
Reifendruck an das Auto und zeigen ihn im Display an..."
"Und warum lassen Sie mich dann messen???" Sollten je Blicke töten
können, so wären diese speziellen in der Genfer Konvention für
Massenvernichtungswaffen explizit aufzuführen.
"Ölstand??"
"Äh, ja, wäre super, wenn Sie schnell mal schauen könnten. Wissen Sie,
ich bin etwas in Eile..."
"Geht ganz hopp."
Ich beschloss, vorbeugend schon mal zu zahlen. Ein Nachfüllen von Öl war nicht
zu erwarten, der Ölstand wird an diesem Auto elektronisch gemessen und ein
Mangel im Display angezeigt. Erst an der Kasse fiel mir ein, dass dies
möglicherweise ein Problem beim Versuch der manuellen Durchsicht ergeben
könnte.
Als ich eiligen Schrittes die Kassenräume wieder verließ, lag bereits die
Plastik Abdeckung des Motorblocks neben dem Wagen, von meinem willigen Helfer
waren nur noch die Beine zu sehen.
"Äh, Moment mal..."
"Ich habe die Abdeckung fast problemlos abgekriegt, und die Halterung links
war sicher schon angebrochen. Aber auch hier ist kein Ölstab!"
"Oh, ich äh glaube, so was hat er nicht. Das wird möglicherweise, nun,
automatisch gemessen...."
"Sie wollen mich wohl verarschen?? Warum sagen Sie das nicht vorher? Wie
können Sie sich eigentlich so ein teures Auto leisten?"
"Nun, der gehört mir nicht. Es ist ein Firmenwagen, und..."
Wortlos drehte sich der Junge Mann um und begann mit beleidigter Mine die
Abdeckung des Motors wieder anzubringen. Wie peinlich. Ich hatte immer noch
meinen Trinkgeld-Euro in der Hand, auch wenn mir Art und Ausdrucksweise des
unverlangten Helfers langsam missfielen.
Das Schweigen war ohrenbetäubend.
"Wollen Sie nicht vielleicht mal nach dem Wischwasser sehen?"
"Ist wahrscheinlich gefüllt, oder?"
Ich musste es gestehen.
"Vielleicht die Funktionsfähigkeit der Scheinwerfer testen? Hm?"
"Die werden doch sicher elektronisch überwacht?"
Blöde moderne Technik. Wenn man sie mal nicht braucht, ist sie da. Was macht
man denn sonst noch mit Autos an einer Tankstelle? Ich wollte endlich weg.
"Profiltiefe der Reifen?"
Das war ein Treffer. Der Junge beugte sich herunter und starrte auf den Reifen.
"Ist okay", stellte er fest und erhob sich wieder.
Endlich. Ich lächelte und drückte ihm meinen Euro in die Hand.
"Vielen Dank für Ihre Mühe!"
Er blickte starr auf die Münze.
"He, Mann, für soviel Arbeit kriege ich sonst mindestens zwei Euro!"
Dann fiel er über den Wassereimer mit dem Wischer für die Scheiben.
Ich hab' nur ganz klein wenig geschuppst.
Ehrlich.
Klaus Marion
Last updated 11.10.05