© Klaus Marion 2005
erschienen in VORSICHT 8/2005
Vorbei die Zeiten, als man noch seine CD in den Player legte und auf Start drückte. So einfach diese Vorgehensweise auch sein mag, im Zeitalter von MP3-Dateien, im Internet getauschter Musik und der allgemeinen Computerisierung ist so etwas völlig out. Heutzutage liegen Musikstücke im PC-Netzwerk des Hauses, und werden vollelektronisch verwaltet und per Stream auf der Stereoanlage zu Gehör gebracht.
"Kennst Du DJ Konfu?"
"Korfu?"
"Nein. Konfu! Musst Du unbedingt mal hören!"
Nachdem der laue Sommerabend im Biergarten wie auch der Bierkonsum schon etwas
fortgeschritten waren, hatten sich Rudis und meine Gesprächsthemen langsam in
Richtung der aktuellen Musikszene bewegt. Mögen Rudis allgemeine Ansichten noch
so haarsträubend sein, so wird sein Musikgeschmack doch allgemein als
hervorragend bewertet, und sein Riecher für neue Musikgruppen ist geradezu
legendär. Was Rudi musikalisch gut findet, ist es immer wert, beachtet zu
werden.
Ich gestand meine Unwissenheit.
"Der Junge ist am Schlagzeug absolut genial! Und seine neue CD ist absolut
irre! 'Check the Stormy Rhythm' wir ne ganz große Nummer werden. Willst Du mal
reinhören?"
Ich zögerte. Eigentlich wollte ich an Anbetracht der fortgeschrittenen Uhrzeit
nach Hause gehen, doch Rudis Bude war nur ein paar Meter entfernt, und ein
Musikstück war ja schnell gehört.
Rudi schien meine Bedenken erraten zu haben.
"Kein Problem. Das geht superschnell. Ich habe da ein ganz neues System!
Nix CD suchen. Da kann ich Dir mal zeigen, wie man heutzutage Musik hört!"
Wir bezahlten.
Rudis Bude ähnelte wie immer einer Wohnung nach einem kooperativen Einbruch
sämtlicher osteuropäischen Diebesbanden. Ich stieg über Bücherstapel, ging
zum Regal und starte auf seinen CD-Player.
"Wo ist die Scheibe?"
Rudi lächelte milde.
"Nein, nein, die veröffentlichen nicht auf CD. CD ist absolut tot. Wird
per MP3-Datei released und bei mir auf einem Datenserver gespeichert. Über
12000 Songs sind hier abgespeichert. Wer hat noch so komische Silberscheiben?
Alles in einem Zugriff. Virtuell sozusagen.
"Und wie hörst Du die an? Per PC?"
"Ich bitte Dich. Da gibt's extra MP3-Player, die lesen per Funknetz vom
Server und geben das an die Stereoanlage weiter. Kinderleichte Bedienung. Total
intuitiv. Schau!"
Tatsächlich: Ein kleines schmuckes Kästchen mit einem großen Display zeigte
deutlich den Satz: "Netzwerk nicht verfügbar!"
"Intuitiv würde ich sagen: Geht nicht. Dafür gehe ich dann mal. Ich muss
morgen wirklich früh raus."
Rudi zerrte mich zu einem mit prähistorischen Pizzaresten belegten Sofa.
"Quatsch. Setz Dich. Dauert nur ne Sekunde. Ich starte mal den Server
durch. Dann funzts wieder!"
Er machte sich an einem Kasten in der Ecke zu schaffen. Plötzlich wurde der
Raum durch ein ohrenbetäubend lautes Sirren erfüllt!"
"DAS SIND DIE ALTEN FESTPLATTEN. DIE BERUHIGEN SICH SCHON BALD WIEDER"
Während Rudi mit Tastatur und Maus hantierte, starrte ich abwechselnd auf meine
Uhr und das Wunderkästchen neben dem Verstärker.
"Tolle Sache! Der Kasten zeigt im Display Interpret und Titel, und Du
kannst Dir Listen auswählen und nach Alben, Titel und Songs suchen. Die Daten
selber liegen auf dem Server-PC. So, der Server ist wieder da. Ich mache jetzt 'nen
Reset auf dem Player"
Leider, so ließ sich nicht leugnen, zeigte das kleine Kästchen immer noch
seine langweilige Fehlermeldung. "Ich boote mal das Wlan-Funknetz!"
Auch dies veränderte nicht wirklich die grundlegende Situation.
"Ich telefoniere einen Experten an. Dauert nur ne Sekunde!"
Das fernmündliche Gespräch mit dem umfangreichem Austausch von Fachwissen
führte zwar zum Start zweier weiter Rechner im Raum, deren Aktivität ergab
aber keine nennenswerten Verbesserung.
Rudi blieb am Telefon und informierte mich in regelmäßigen Abständen über
die vom Experten eingeschlagenen Fehlerbeseitigungswege. Nach einer
Neukonfiguration des Funknetzes, dem zurücksetzen eines ARP-Caches, der Vergabe
alternativer IP-Nummern, zweier Updates auf dem Server und der Nachinstallation
verschiedener Patches für das Streaming von Musiksoftware konnte Rudi mir
berichten, dass nach Bereitstellung des Externzugriffs über
Breitbandverbindungs DSL symmetrisch auch der Experte trotz Einsatz eines
Packet-Sniffers keine direkte Fehlerursache finden könne.
"Rudi, ich will jetzt nach Hause!"
"Ist ja kein Problem, wir hören es einfach über PC!"
Während also Rudi mit wenigen Handgriffen den Update des Titelindexes auf dem
Server anstieß und die Player-Software auf seinem PC konfigurierte, starrte ich
mit wachsender Verzweifelung auf meine Uhr.
"Rudi!"
"Jetzt geht's!"
Der Lautsprecher blieb stumm.
"Oh, Mist, das Rechtemanagement! Ich habe die Musik Online gekauft. Leider
habe ich auf diesem PC nicht meinen Signierschlüssel liegen, so dass das
Abspielen verweigert wird. Ist aber kein Problem. Ich exportiere von AAC auf
Analog, und grabbe dann wieder auf MP3. He warum, geht der Brenner nicht?"
Es war früher Morgen, als ich Rudis Wohnung unauffällig verließ. Zu diesem
Zeitpunkt hatte er eine Telefonkonferenz mit verschiedenen seiner Freunde
gestartet, um dem Problem des nach dem Ausbau des Brenners notwendig gewordenen
BIOS-Updates auf die Spur zu kommen, ohne komplett das Board des Server tauschen
zu müssen, nachdem er alle Adapterkarten seines PCs getauscht sowie einen
Betriebssystemwechsel vollzogen hatte.
Wie ich Tage später gerüchteweise erfuhr, steht Rudi kurz vor der Lösung des
Abspielproblems, sofern es ihm gelingen sollte, die Aussetzer der Festplatte und
des Controllers so zu lösen, so dass nicht ein kompletter Neuaufbau seines
Computernetzwerks notwendig werden wird.
Dann aber, so ließ er mir versichern, sollte ich unbedingt den Song mal hören.
Klaus Marion
Last updated 11.10.05