(c) Klaus Marion 2001
erschienen in VorSicht
Im Rahmen der Bekämpfung des allgemeinen Vandalismus gehen immer mehr Verkehrsbetriebe dazu über, Kameras in Omnibussen zu installieren, um im Falle von Sachbeschädigungen die Urheber solcher Attacken eindeutig feststellen zu können. So etwas bietet natürlich ungeahnte Möglichkeiten und kann sicherlich nur ein Anfang sein...
Busfahrten gehören bei mir zu den eher seltenen Fortbewegungsarten, doch ab
und zu scheint die Fahrt mit dem regionalen Busunternehmen doch die praktischste
Art des Transportes zu sein. So blickte ich gedankenverloren aus dem Fenster des
Bus und hing meinen eigenen Gedanken nach.
"Sie haben in der Nase gebohrt! Ja, Sie!"
Ich blickte überrascht nach oben. Über mich hatte sich eine gorillahafte
Gestalt gebeugt, deren Köpermaße an einen überdimensionalen Kleiderschrank
gemahnten, und die drohend die Augenbrauen zusammengezogen hatte.
Angesichts der Tatsache, dass die Augen alle Fahrgäste im weiteren Umkreis auf
mich gerichtet waren, versuchte ich, dieser völlig unhaltbaren Anschuldigung
möglichst würdevoll entgegenzutreten.
"Ich bitte Sie, das ist doch lächerlich. Was wollen Sie überhaupt von
mir? Wer sind Sie denn"
"Ich bin der offizielle Sicherheitsbusbegleiter. Zeigen Sie mal ihren
Ausweis"
Erst jetzt wurde mir gewahr, dass die Gestalt tatsächlich etwas ähnliches wie
eine Uniform zu tragen schien. Auch begann ich mich wage daran zu erinnern, beim
Einsteigen den Mann vorne hinter dem Busfahrer sitzend gesehen zu haben. Er
starrte auf meinen Ausweis.
"Sie haben in der Nase gebohrt"
"Unsinn!"
"Ich habe es auf dem Monitor gesehen" Er zeigte nach oben "Neue
Sicherheitseinrichtung in allen regionalen Linienbusen."
Tatsächlich. An der Decke befand sich ein kleines, unauffälliges Kästchen. Es
schien an der Zeit, der offiziellen Konfrontation etwas die Spitze zu nehmen.
"Nun", räumte ich ein, "möglicherweise habe ich mich an der
Nase gekratzt. Aber warum beobachten Sie das?"
"Sie haben in der Nase gebohrt. Ich habe es genau gesehen. Meine Aufgabe
besteht im Schutz vor Vandalismus und Belästigungen anderer Fahrgäste. HE SIE,
WAS LESEN SIE DENN DA? KEINE PORNOGRAFISCHEN HEFTE IN DIESEM BUS??" Er
stürzte plötzlich zwei Reihen nach vorne und baute sich vor einem anderen
Fahrgast auf.
Ich steckte meinen Ausweis wieder ein und begann mich trübe daran zu erinnern,
dass eine Ausstattung mit Kameras bei allen Linienbusen als neue
Sicherheitsmaßnahme in der Zeitung angekündigt worden war. Dabei sollten aber
eigentlich die Aufnahmen nach 24 Stunden gelöscht werden. In dieser Form
äußerste ich mich auch gegenüber Brutus (so hatte ich den Aufpasser
inzwischen in Gedanken genannt) nach seiner Rückkehr.
Er ließ sich neben mir nieder.
"Ja, so war das am Anfang auch gedacht. Aber das funktionierte nicht. Wer
kennt schon den Vandalen, wenn er später anhand eines schummrigen Videos
identifiziert werden soll? SIE DA VORNE, SETZEN SIE SICH GERADE HIN! Daraufhin
wurde unter Berücksichtigung der allgemeinen Sicherheitslage beschlossen, einen
permanenten Sicherheitsbusbegleiter einzusetzen, der direkt bei Problemen
einschreiten kann. Und Sie haben in der Nase gebohrt!"
"Nun, vielleicht. Wir wollen uns nicht streiten. Gibt es denn viele
Sicherheitsprobleme, bei denen Sie einschreiten müssen?"
"Nein, eigentlich nicht. Daher wurde beschlossen, im Rahmen der "zero
tolerance" Strategie die Fahrgäste auch vor leichteren Belästigungen zu
schützen, um rundum ein Gefühl der Sicherheit zu geben. IHR BEIDEN DA! KEINE
KÜSSE IN DIESEM OMNIBUS! Macht übrigens 20 Mark.
"Küssen im Omnibus?"
"Das macht 40 Mark wegen unsittlichem Verhalten in öffentlichen
Verkehrsmitteln. Bohren in der Nase fällt unter leichtere Belästigung und ist
daher nur halb so teuer. SAGEN SIE MAL, IHR SCHIRM TROPFT JA HIER ALLES VOLL!
BEIM NÄCHSTEN MAL SCHÜTTELN SIE DEN VORHER AUS!"
"Wo steht das?"
"In den allgemeine Beförderungsbedingungen. Schließlich muss der
Sicherheitszugewinn ja irgendwie bezahlt werden. Einen kleinen Moment. SIE DA,
SIND SIE ETWA AFGHANE? FASSEN SIE IHRE TASCHE NICHT NOCH MAL AN; BEVOR ICH SIE
DURCHSUCHT HABE!!" Er verschwand nach vorne.
Ein Mitfahrer hinter mir beugte sich zu mir vor und flüsterte. "Er ist
sehr gewissenhaft. Daletzt glaubte er bei einem Fahrgast eine Pistole im
Hosenbund entdeckt zu haben. Er beschlagnahmte die Waffe und führte
anschließend eine komplette Leibesvisitation durch. Es war jedoch nur eine
Spielzeugpistole."
"Na ja, man kann ja nie wissen..."
"Bei einem 8-Jährigen? Ohje, er kommt. "
Brutus setzte sich wieder.
"Man kann nicht vorsichtig genug, in der heutigen Zeit. Ein sehr
verdächtiges Subjekt. Ich werde wohl die Polizei alarmieren müssen."
"Und warum haben Sie den Mann mit Handschellen an seinen Sitz
gefesselt?"
"Er wollte mir auf meine Fragen nicht antworten"
"Das ist kein Wunder. Ich kenne ihn. Er spricht kein Deutsch."
"Sie kennen ihn??"
Es schien mir jetzt Zeit zu sein, eine Deeskalationsstrategie einzusetzen.
"Oh je, hier muss ich aussteigen. Bitte den Bus verlassen zu dürfen."
Er starrte mich an.
"Gewährt. Wegtreten!"
Ein Glück, dass man sich jetzt richtig sicher fühlen kann.
Last updated 29.12.01