(c) Klaus Marion 2/2003
erschienen in VorSicht
Es war später Samstag Vormittag, als ich Rudi in der
Innenstadt mit schnellem Schritt entgegenkommen sah. Trotz verschienener Akten,
die er unter dem Arm trug, war er augenscheinlich intensiv am telefonieren, ein
Bild, das leicht ins komische spielte, da er trotz Beladung versuchte, seinen
gesprochenen Worten mit weitausholenden Gesten Nachdruck zu verleihen.
Da er ich mich nicht zu sehen schien, stellte ich mich ihm einfach in den Weg.
"Ich bekomme noch Geld von Dir!"
Rudi blickte mich überrascht an. Seine Wiedersehensfreude schien sich jedoch in
Grenzen zu halten. Er presste sein Handy gegen die Jacke.
"Pscht, Du verschrecktst mein Gegenüber!" zischte er mir zu, bis er
wieder das Handy an das Ohr hob.
"'Tschuldigung, eine kleine Störung. Ja, die Ware ist natürlich raus
gegangen. Schon vorgestern. Das Geld konnte ich jedoch noch nicht verbuchen...
Moment. Halt mal!"
Die letzten Worten waren offensichtlich an mich gerichtet, da er mir zwei
Aktenordner entgegenschob und gleichzeitig den dritten öffnete. Erstarrte kurz
in den Himmel, dann wendete er sich wieder dem Handy zu.
"Ja, hab' nachgesehen. Alles in Ordnung. Ich prüfe das einfach noch einmal
nach und melde mich umgehend wieder!"
Er schob das Handy in die Tasche. Ich starrte ihn an.
"Ich bin wirklich beeindruckt. Du hast endlich einen vernünftigen Job! Und
dann gleich voll im Vertrieb."
"Du sagst es. Ebay macht es möglich! Ich bin Power-Seller"
"Peter Sellers?"
"Quatsch! Power-Seller! Profi-Verkäufer. Ebay. Internet-Versteigerung!
Noch nie was davon gehört?"
Ich balancierte die beiden Ordner, während die Fußgänger um uns herum
strömten.
"Ich dachte, da kann man nur alte Bücher oder Schallplatten kaufen oder
verkaufen. Und davon kann man leben?"
"Ich bitte Dich! Das ist das goldene Pflaster. Schallplatten! Dort kann man
alles verkaufen. Hier, das ist ein Ausschnitt meiner laufenden Angebote!"
Er öffnete einen weiteren Ordner und schob in mir unter die Nase. Eine
mehrseitige Liste wart dort abgeheftet. Ein Piepsen ließ ihn wieder zum Handy
greifen.
Während er sein Telefongespräch führte, blickte ich auf die Liste
offensichtlich von ihm angebotener Gegenstände.
"Rudi, die 2 Hörspielkassetten und die Videospielkonsole verstehe ich ja
noch. Aber was ist das?" Ich deute auf eine Zeile weiter unter.
"Zwei Stühle aus meinem Wohnzimmer. Grundgebot 1 Euro" zischte er mir
zu, bevor er sich wieder seinem Handy zuwandte. Ich las weiter. Die Liste las
sich wie eine Verzeichnis der Meldeliste für den Sperrmüll.
"Ein Blumentopf gebraucht; zerbrochen; 5 Unterhosen, fast neu. Zwei
Schuhe-verschieden"
Rudi grinste.
"Klasse, nicht? Ich habe momentan 247 Angebote in der Versteigerung."
Er las stirnrunzelnd eine SMS auf seinem Handy. "Mist, überboten
worden!"
"Und den Müll kauft jemand?"
"Nicht immer" räumte er ein. "Aber meistens bekomme ich schon
mein Grundgebot von einem Euro. Du glaubst gar nicht, was alles verkauft wird.
Einer hat sogar mal die 3 binomischen Formel für 11 Euro versteigert. Und bei
Versand und Porto hole ich mir dann sowieso noch mal 4 bis 5 Euro rein. Alter
Ebay-Trick"
"Das liest sich ja, als ob Du Deine ganze Wohnung verscherbelst. Was ist
denn dass: Eine Robby Williams CD? Ist das die, die ich Dir geliehen habe?"
"Das erkläre ich Dir später genauer. Sekunde, da kommt ein Gebot
rein." Er widmete sich wieder seinem Handy.
"Rudi, aber davon kann man doch nicht leben. Deine Wohnung ist doch schon
sowieso fast leer. Was machst Du dann?"
"Kein Problem. Ich ersteigere permanent Schnäppchen. Nachdem ich sie
aufgewertet habe, verkaufe ich sie wieder mit Gewinn."
"Du reparierst defekte Sachen?"
"Nein, ich verbessere die Beschreibung. Die Kunst besteht darin, den Text
zu optimieren. Aus einem 'Elektrorasierer, gebraucht, 10 Jahre' mache ich einen
'Trendigen, coolen Trockenrasierer im prä2000er Look, unwesentlich gebraucht.
Mit Zubehör!'!"
"Zubehör?"
"Das Elektrokabel"
"Rudi, das grenzt an Betrug. Was machst Du, wenn Dein Gegenüber nicht
zahlen will?"
"Hehe, Ware gibt's erst nach Zahlungseingang. Zudem machen das alle. Und es
ist nicht wirklich gelogen. Auf jeden Fall verkauft sich so ein Objekt
natürlich im Schnitt besser. Und ich mache meinen Gewinn."
"Viel?"
"Kann ich nicht sagen. Momentan laufen bei mir 320 Kaufgebote, die ich
permanent beobachten muss. Tag und Nacht. Da die Auktionen völlig
unregelmäßig starten und enden, sind die Zahlungsströme nicht ganz klar zu
verfolgen. Problematisch sind allerdings Terminverkäufe. "
"Terminverkäufe?"
"Ja." Er balancierte wieder mit dem Handy und versuchte jemand zu
beruhigen. "Ich versteigere Objekte, bei denen momentan mein Lager nicht
absolut voll gedeckt ist. Da ist dann die Nachbeschaffung wichtig."
"Mit anderen Worten, Du versteigerst Sachen, die Du noch gar nicht besitzt.
Das ist illegal."
"Pscht. Äh, nein, isch nicht heißen Ruudii. Isch heißen Achmed. 'allo? 'allo?"
"Er hat aufgelegt. Glück gehabt. Tja, ich muss jetzt weiter. Muss noch zu
Post. Und weitere Schnäppchen suchen...."
Er verschwand in der Menge und ließ mich ratlos zurück.
Habe die Geschichte mit meiner Frau besprochen und entschieden, mich mit der Sache näher zu beschäftigen. Läuft ganz gut. Habe momentan 3 gute Vorsätze in der Versteigerung, ein Einschließen in das persönliche Nachtgebet liegt schon bei 2 Euro 50. Mein Frau erwägt, 5 überflüssige Pfunde über Ebay loszuwerden, die Schaukel des Wellensittichs steht noch bei 1 Euro 50. Wir sind im Geschäft.
Klaus Marion
Klaus Marion
Last updated 02.05.03