erschienen in: DIALOG 1/95 © Klaus Marion
Irgendwann kommt der Tag, an dem für den Apotheker eine Entscheidung zu treffen ist,
die weitreichende Folgen für sein Portemonaie und sein allgemeine nervliche Verfassung
haben kann: Der Kauf von Apothekensoftware.
Dieser Schritt ist ein folgenschwerer, denn er bindet den Apotheker über Jahre an den
Lieferanten der Programme.
Ob dieser Schritt auf der Basis schon eines schon verhandenen EDV-Systems erfolgt, das
ersetzt werden soll, oder aus dem glücklichen Stadium völliger nichtcomputerisierung
geschieht, ist einerlei. Vorgehensweise und Verfahren ähneln sich gleichermaßen, wenn
auch vielleicht der schon langjährig leidgeprüfte EDV-Nutzer mit deutlich weniger
Illusionen an das Geschehen herangehen dürfte und dazu noch eine zusätzliche Sorge hat:
Wie bekomme ich meine bisher in der EDV erfaßten Daten auf das vorgesehene
Nachfolgesystem (dazu später mehr).
Software kostet Geld. Und zwar um so mehr, je weniger potentielle Interessenten ein
Programm oder Programmpaket anzusprechen vermag. Mag eine Standardsoftware zur
Textverarbeitung für nur ein paar hundert Mark über den Ladentisch gehen, so können die
Entwicklungskosten doch durch millionenfachen, weltweiten Verkauf wieder hereingeholt
werden.
Das Standardsoftwarepaket für den Apotheker hat naturgemäß einen etwas
eingeschränkteren Kreis potentieller Käufer, und so steigt das auf den Kunden
umzulegende Entwicklungskapital in beachtliche Höhen.
Das ist normal. Gute Programmierer sind teuer, und auch sie brauchen ihre Zeit, um ein
Programmpaket fertigzustellen. Der Hersteller von Software investiert viel Geld in eine
ungewisse Zukunft, denn die schnellebigkeit von Hard- und Software machen oftmals eine
Neuprogrammierung binnen weniger Jahre notwendig. Das Verkaufsrisiko ist enorm.
Trotzdem mag mancher Kunde blaß werden angesichts dem Kaufpreis in 5 stelliger Höhe und
dem Ergebnis in Form von wenigen unscheinbaren Disketten.
Zeigen Sie in diesem Zusammenhang ein gesundes Mißtrauen gegenüber sensationell billigen
Sonderangeboten. Entweder sie erhalten "Bananensoftware", Programme also, die
erstmal beim Kunden so richtig reifen und nach einer vielzahl von Fehlern und Änderungen
ihre Einsatzfähigkeit erst erweisen müssen, oder das Programm ist ein Produkt
finanzieller Selbstausbeutung der Hersteller. Altruismus ist jedoch in der Softwarebranche
keine verbreitete Charaktereigenschaft, und so deutet ein derartiger Kampfpreis auch oft
auf falsche kaufmännische Vorstellungen hin - kein gutes Zeichen für eine lange
Geschäftstätigkeit des Anbieters.
Gute Software kostet ihren Preis - keine hinreichende, aber doch notwendige Bedingung für
möglichst wenig Ärger mit dem Einkauf.
Es gibt in der hehren Lehre der Informatik genaue Formalismen, wie Anforderungsprofile
und Sytemlösungen ermittelt werden können, und ganze Scharen von Analytikern verdienen
ihre Brötchen mit dem Untersuchen von dem, was der Kunde haben will. Vergessen Sie's!
Der Bereich dessen, was gute Apothekensoftware können sollte und leisten kann, ist schon
lange abgesteckt. Anbieter von Komplettsystemen decken all diese Gebiete ab, und so
braucht das Rad nicht noch einmal erfunden werden. Softwareanbieter, die sich erheischen,
erst mal für teures Geld festzustellen, was sie eigentlich brauchen, haben offensichtlich
keine Ahnung vom EDV-Einsatz in Apotheken - und die Fortbildung auf diesem Gebiet sollen
Sie ihm dann auch noch bezahlen.
Nein, umgekehr wird ein Schuh daraus.
Was brauche ich?
Gönnen Sie sich einige ruhige Minuten, nehmen Sie ein Blatt Papier zur Hand und fixieren
Sie erst einmal, was Sie unbedingt haben wollen: Eine Kassenlösung? Lagerverwaltung mit
automatische Disposition? EDV gestützte Buchhaltung? Schreiben Sie sichs auf und nehmen
sie diese Niederschrift als Mußforderung. Das ist nicht trivial! Viele Käufer von
Software sind nach einer Demonstration der Möglichkeiten irgendwelcher Komplettsysteme so
erschlagen, daß Sie z.B. vor lauter bunten, grafischen Darstellungsmöglichkeiten des
Umsatzes übersehen, daß die Software keine Übergabe an ein Buchhaltungssystem erlaubt.
Was gibt es?
Der zweite Schritt ist die Überprüfung der Leistungs-Angebote. So manche Software
enthält Rationalisierungsmöglichkeiten und Kostenersparnisse, an die der zukünftige
Anwender nie gedacht hat, weil sie ohne EDV oder ohne das entsprechnede Computersystem gar
nicht durchführbar sind.
Die Möglichkeiten der statistischen Auswertungen von Verkaufszahlen, Umsätze und
Bruttoerlösen erschließt sich oft erst bei der Umsetzung in entsprechende
mehrdimensionale Grafiken - zu Zeiten zeichenorientierter Programme undenkbar.
Prüfen Sie die Möglichkeiten der angebotenen Software gründlich, überlegen sie sich,
ob die angebotenen Funktionen Sinn machen oder ob sie darauf verzichten können.
Softwarepakete werden oft in Modulen angeboten, so daß ein langsames Ausbauen um neue
Funktion nach und nach möglich ist. Fangen Sie klein an, und steigern Sie sich langsam im
Einsatz der EDV - und verzichten sie auf teuren Schnickschnack, der weder Zeit noch Kosten
spart.
Woher bekomme ich Angebote?
Drei Quellen können für Softwaresysteme in allen Branchen angenommen werden:
- Angebote über Direktanschreiben
- Angebote in der Fachpresse
- Empfehlungen aus dem Kollegenkreis
Es ist schwierig, zu den Punkten 1 und 2 etwas allgemein gültiges zu sagen. Sie
können erstklassige Produkte erhalten, aber auch absoluten Ramsch. Das ist der Grund,
daß ich dem geplagten Kunden eigentlich die dritte Methode ans Herz legen möchte.
Machen Sie große Ohren! Höhren Sie sich im Kollegenkreis um, was eingesetzt wird und
welche Erfahrungen damit schon gemacht worden sind. Erkundigen Sie sich nach den Stärken
und Schwächen der eingesetzten Systeme. Denken Sie daran, daß immer gilt: ein schon
älteres Softwareprodukt, daß fehlerfrei läuft und seinen´Arbeit macht, schlägt jedes
hypermoderne Produkt in Windowstechnik und objektorientierter Programmierweise um Längen,
wenn letzteres nicht fehlerfrei ist und in unregelmäßigwen Abständen abstürzen sollte.
Fehlerfreiheit und Einsatzfähigkeit ist unter Software ein hohes Gut. Ein zufriedener
Kunde eines Produktes ist ein besseres Gütesiegel als jeder Hochglanzprospekt.
Seien Sie vorsichtig bei sogenannten Referenzkunden, besonders dann, wenn der Anbieter nur
ein oder zwei herausrücken möchte. Sie geraten vielleicht an den Schwager des
Softwareherstellers oder an einen am Verkaufserlös beteiligten Apotheker (das ist nicht
so ungewöhnlich, er hat vielleicht mit seinem fachspezifischen Wissen bei der Entwicklung
mitgeholfen!).
Hingegen sind umfangreiche Referenzkundenlisten ein positives Zeichen. Picken Sie sich ein
paar davon heraus und bitten Sie um die Eindrücke mit dem in Frage stehenden System.
Ein kleiner Tip nebenbei: Die Mitarbeiter, die mit dem System arbeiten müssen, beurteilen
unter Umständen so ein Produkt völlig anders als Ihr Arbeitgeber, der lediglich
abendliche oder monatliche Systemabschlüsse fährt...
Prüfen im Einsatz
Mißtrauen Sie allen sogenannten "Demos", mit den Anbieter Ihre Systeme
demonstrieren. Ein System verhält sich unter Umständen völlig anders, wenn es mit
wenigen Artikeldaten von einem Entwickler vorgeführt wird, als wenn es im harten Einsatz
mit Tausenden von Daten und Informationen gefüttert wurde.
Verschaffen Sie sich eine Möglichkeit, das Programmpaket in einer vergleichbaren Apotheke
einmal im Einsatz beobachten zu können.
Die Kriterien, nach denen Sie das Produkt beurteilen können, sind durchaus komplex und
sprengen den Rahmen dieses Übersichtsartikels. In einer späteren Ausgabe von DIALOG
werden wir eine detaillierte Checkliste zur Prüfung veröffentlichen.
Informationen über Anbieter
Der eine oder andere Leser mag bis hier hin die Stirn gerunzelt haben über einen gewissen
Zynismus des Autors dieser Zeilen. Dazu stehe ich, habe ich doch einen nicht unerheblichen
Teil meiner beruflichen Arbeit in Softwarehäusern verbracht, die genauso aussehen wie
diese, mit denen der Apotheker zu tun bekommt.
Ich habe viele Bekannte in anderen Programmschmieden und kann bestätigen, daß die
schlimmste Angst vieler Mitarbeiter die Vorstellung ist, es könnte sie ein Blitzschlag
vom Himmel daniederstrecken angesichts der schamlosen Unwahrheiten, die sie über Telefon
oder von Angesicht zu Angesicht ihrem Kunden zukommen ließen.
Glauben Sie erst mal gar nichts. Denken Sie daran, daß der Anbieter ihnen was verkaufen
will, und zwar unter (fast) allen Umständen. Da wird aus der Zweimann-Garagenfirma ein
"mittelständisches Softwareunternehmen mit internationalen Verbindungen", der
beauftrage Feierabendprogrammierer mutiert zum "kompetenten Systemanalytiker".
Schenken Sie Auftrag, Herz und Geld nicht einer zu kleinen Firma. Schließlich wollen Sie
Betreuung und Wartung ihrer Software auch noch in einigen Jahren garantiert bekommen. Der
Wind in der Branche ist momentan rauh, und kleinere Firmen gehen zur Zeit reihenweise ein.
Suchen Sie sich einen Anbieter mit möglichst vielen schon installierten Systemen. Da ist
die Wahrscheinlichkeit groß, daß Sie es a) mit kompetenten Leuten zu tun haben, und b)
auch in Zukunft Ihren Ansprechpartner nicht durch betriebswirtschaftlichen Kollaps
verlieren.
Maschinenbasis
Die Meinungen über die beste Hardware für EDV-Systeme sind so verschieden wie über die
beste Käsesorte. Es ist schwierig in einer so schnelllebigen Welt wie der EDV-Branche
abschließende Wertungen zu setzen. Trotzdem bedarf der Punkt eines gewissen Nachdenkens.
Software ist meist für ein bestimmtes System geschrieben und unterstützt seine Stärken.
Der Kauf einer bestimmten Software impliziert also meist auch automatisch eine bestimmte
Hardwareausstattung an Maschinen.
Faktum ist: Software für Apotheken kann im Prinzip auf jeder Plattform vernünftig
arbeiten.
Für die Entscheidung für eine Hardware gelten also mehr prinzipielle Fragen:
Zukunftssicheres System, weite Verbreitung, viele Anbieter (senkt die Preise!), hohe
Leistungsfähigkeit.
Eine PC-Plattform erfüllt zum Beispiel heutzutage alle diese Ansprüche.
Modifikationsaufwand
Es gibt Softwarefirmen, die ihre Komplettsoftware zu Dumpingpreisen verschleudern. Den
eigentlichen Gewinn machen diese Unternehmen dann mit sogenannten
"Modifikationen". Dies ist ein Zauberwort in der Softwarebranche, das jene
Programmänderungen umfaßt, die der am Rande eines Nervenzusammenbruchs befindliche Kunde
ordert, damit die gelieferte Software endlich das leistet, wofür sie ursprünglich
vorgesehen war. Dabei sind viele Softwarefirmen wenig zimperlich, wenn es darum geht,
eigentlich vorhanden sein müssende Features als kostenpflichtige Modifikationen zu
verkaufen.
Prüfen Sie im Fall des Falles noch einmal genau, was der Softwarevertrag alles an
Funktionen vorsieht.
Bevor Sie sich an eine Firma ketten, lassen Sie sich Modifikations- und Wartungspreise
nennen und garantieren.
Der vermeintlich günstige Paketpreis relativiert sich dann doch etwas, wenn für
notwendige Anpassungen dann so 320,- DM die Stunde gezahlt werden muß.
Prinzipiell gilt sowieso: Gute Software läßt sich über Tabellen oder Parameter auf die
jeweiligen kundenspezifischen Eigenheiten anpassen - ohne kostenpflichtigen Eingriff in
die Programme.
Klären sie im vorhinein, wer für notwendige Änderungen bei gesetzlichen oder
steuerlichen Änderungen aufzukommen hat (möglichst das Softwarehaus)! Und lassen sie
sich garantieren, daß solche Änderungen vom Lieferanten auch tatsächlich durchgeführt
werden. Lehnt er dies eines Tages ab, können Sie möglicherweise ihr gesammtes System auf
den Müll werfen.
Machen Sie sich übrigens keine übertriebenen Hoffnungen auf eine Vertragsklausel, die
die Lieferung des sog. Quellcodes vorsieht. Mit diesen Programmlistings können Sie
definitiv selber nichts anfangen (auch wenn Sie als Hobbyprogrammierer schon einige
Erfahrung haben sollten)!
Solche Programmquellen sind selbst für hochqualifizierte Programmierer ohne umfangreiche
Dokumentationen nur schwer zu durchschauen. Welche Auswirkungen Änderungen an einer
Stelle auf das Gesamtsystem haben, können meist nur die Entwickler selbst halbwegs sicher
vorhersagen.
Hotlinemöglichkeit
Die brauchen Sie! Unbedingt. Keine Software ist fehlerfrei, und kein Bediener weiß alles.
Funktioniert ihre Tabellenkalkulation nicht einwandfrei, können Sie abends oder am
Wochenende ein bißchen herumprobieren und suchen. Will aber die Bestelldatenübertragung
nicht mehr, oder liefert das Kassenprogramm nur noch Merkwürdigkeiten, dann brauchen sie
einen Ansprechpartner, der ihnen hilft, und zwar sofort. Was für die Hardware gilt (siehe
MGDA-DIALOG 4/94: PC- Wartung), gilt für Software umso mehr.
Ein Pogrammlieferant, der keine Hotline garantieren kann, ist von der Liste seriöser
Anbieter zu streichen. An dem Tag, an dem plötzlich nichts mehr geht, weil irgendeine
Festplatte voll ist, werden Sie verstehen, wie wichtig es war, monatlich einen Obulus für
diese Hotline bezahlt zu haben. Und: Lassen Sie sich den Hotlineservice vertraglich
garantieren!
Schnittstellen
Schnittstellen sind das Zauberwort für die Verbindung nach draußen. Schnittstellen sind
in der Software Übergabepunkte, an denen das eine Programm Daten ablegt, und ein anderes
Programm sie sich zur Weiterverarbeitung holen kann. Eine Schnittstelle muß aber
"genormt" sein, damit sie einen Sinn macht. Ihr bloßes Vorhandensein an sich
ist noch kein Qualitätsmerkmal.
Nehmen wir das Beispiel des PC's:
Eine Schnittstelle zur Weiterverabeitung von Finanzdaten an eine Tabellenkalkulation
solltez.B. "Lotus-" oder "EXCEL-kompatibel" sein.
Die Datenbanken der Warenwirtschaft sollten in irgendeiner Form "DBASE-" oder
"ACCESS-kompatibel" sein.
Buchhaltungsschnittstellen sollten passend zum dem von Ihnen oder Ihrem Steuerberater
verwendeten System sein (nachfragen!).
Schnittstellen zur Datenfernübertragung sollten den Standards genügen und dem
entsprechen, was Ihr Grossist oder Rechenzentrum verlangt. Verweisen Sie im Zweifelsfall
den Anbieter der Software auf das Rechenzentrum, an das die Daten übergeben werden sollen
und lassen Sie die beiden das unter sich ausmachen. Lassen sie sich die Kompatibilität
der Schnittstellen im Kaufvertrag garantieren.
Denken Sie daran: Ohne genormte Schnittstellen nehmen Sie sich viele Möglichkeiten der
Flexibilität und alle der Möglichkeiten, Teile von Anwendungen gegen Produkte anderer
Anbieter auszutauschen.
Übernahme von Daten
Haben Sie bereits ein System im Einsatz, und wollen Sie es durch das neue Programmpaket
ablösen, dann lassen Sie sich die Übernahme der Alt-Daten auf das neue System
garantieren. Das wird Sie wahrscheinlich Geld kosten, aber sonst verlieren Sie schon
allein im Bereich der Statistik und Auswertung über Jahre mühsam angesammelte
Informationen.
Fixieren Sie im Vertrag eine Klausel, die sinngemäß garantiert, daß die "gesammten
Alt-Daten in das neue System komplett und funktional richtig" übernommen werden.
In einer eigenen Folge werden wir uns den Fallstricken der Softwarekaufverträge zuwenden,
doch soviel schon hier: Durch Formulierungen wie "...werden alle Daten gemäß den
Beschreibungen des Kunden übernommen" überreichen Sie Ihr Portemonaie dem
Softwarehaus auf einem silbernen Tablett: Sie können gar nicht genau wissen, was da alles
zu übernehmen ist. Und nur halb gelungene Übernahmen kosten weiteres Geld zur
Nachbesserung und Prüfung. Denn falsche Umsetzungen sind noch schlimmer als gar keine:
Ohne Übernahme haben Sie zwar nur die neuen Daten, die dafür aber richtig. Im anderen
Fall paßt gar nichts mehr.
Seien Sie mißtrauisch!
Dies sollte das Credo jedes Schrittes in die Richtung des Erwerbs neuer Software sein.
Glauben Sie nichts, was Sie nicht im Einsatz gesehen haben. Seien Sie mißtrauisch jeder
vollmundigen Versprechung gegenüber, Und seien Sie konservativ in Ihrer Kaufentscheidung.
Das Neueste ist nicht das Beste. Was Sie brauchen ist ein klagloses Arbeitstier, das seine
Arbeit ohne modischen Schnickschnack sicher und unauffällig verrichtet. Keinen Porsche.
Den heben Sie sich besser für die Straße auf.